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Original Play

Original Play: Innovatives pädagogisches Konzept oder gefährliche Spielmethode?

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In den vergangenen Jahren hat eine ungewöhnliche Spielmethode namens „Original Play“ zunehmend Aufmerksamkeit in Deutschland und anderen europäischen Ländern erlangt. Während manche sie als innovatives pädagogisches Konzept feiern, warnen andere vor erheblichen Gefahren, insbesondere für Kinder. Der Diskurs rund um Original Play ist geprägt von gegensätzlichen Positionen, die von begeisterter Zustimmung bis zu vehementer Ablehnung reichen. In diesem Artikel beleuchten wir, worum es sich bei Original Play handelt, auf welchen Ideen es basiert und welche Argumente dafür oder dagegen sprechen.

Was ist Original Play?

Original Play wurde vom US-amerikanischen Geografen Fred O. Donaldson entwickelt. Der Begriff beschreibt eine Spielweise, die auf instinktivem, körpernahem Spielen basiert – ähnlich dem, was kleine Kinder oder auch Tiere im Spielverhalten zeigen. Laut Donaldson handelt es sich dabei um eine „ursprüngliche“ Form des Spiels, die jenseits von Wettbewerb oder Aggression stattfindet. Erwachsene, sogenannte „Spielpartner“ oder „Lehrlinge“, spielen auf Matten mit Kindern, wobei es oft zu engem Körperkontakt kommt. Das Spiel wird als spontan, nonverbal und emotional verbindend beschrieben. Donaldson sieht darin eine Möglichkeit, Vertrauen, Sicherheit und soziale Bindungen zu fördern.

Die Methode hat über Donaldsons Schulungen auch in Europa Verbreitung gefunden. In Kindergärten und Schulen wurden Workshops abgehalten, bei denen fremde Erwachsene mit Kindern spielten. Dabei betonen die Befürworter stets, dass es keine Regeln im klassischen Sinne gebe, sondern dass die Begegnung auf Freiwilligkeit, Intuition und gegenseitigem Respekt basiere.

Argumente für Original Play

Anhänger von Original Play verweisen auf verschiedene positive Effekte, die das Spiel auf Kinder haben kann. Insbesondere Kinder mit sozial-emotionalen Defiziten oder traumatischen Erfahrungen sollen durch das freie, körpernahe Spiel neue Erfahrungen von Geborgenheit und Vertrauen machen können.

Befürworter argumentieren, dass:

  • Original Play Kindern hilft, ihre Grenzen kennenzulernen und zu kommunizieren.
  • Empathie, Vertrauen und soziale Kompetenzen gestärkt werden.
  • Das körperliche Spiel Stress abbauen und die emotionale Entwicklung fördern kann.
  • Kinder sich gesehen und angenommen fühlen, unabhängig von Leistung oder Verhalten.

Einige Einrichtungen berichteten von positiven Erfahrungen, etwa dass Kinder nach der Teilnahme ruhiger oder ausgeglichener wirkten. Auch die Erwachsenen, die an den Workshops teilnahmen, schilderten die Begegnungen oft als tief berührend.

Darüber hinaus wird betont, dass stets mehrere Erwachsene anwesend seien, was eine gewisse Kontrolle ermögliche, und dass Kinder jederzeit die Möglichkeit hätten, sich dem Spiel zu entziehen.

Kritik an Original Play

Trotz einzelner positiver Rückmeldungen wird Original Play seit 2019 zunehmend kritisch hinterfragt. Pädagogen, Kinderschutzorganisationen und politische Entscheidungsträger äußerten erhebliche Bedenken hinsichtlich der Methode. Die Hauptkritikpunkte lassen sich in mehreren Aspekten zusammenfassen:

  1. Fehlende wissenschaftliche Fundierung:
    Das Konzept basiert auf der persönlichen Interpretation Donaldsons, der keine pädagogische oder psychologische Ausbildung besitzt. Es gibt keine empirischen Studien, die die behaupteten positiven Wirkungen wissenschaftlich belegen.
  2. Gefahr von Grenzverletzungen:
    Das körpernahe Spiel zwischen fremden Erwachsenen und Kindern birgt erhebliche Risiken. Experten warnen davor, dass Kinder in ihrer natürlichen Bereitschaft zur Nähe und Körperlichkeit ausgenutzt werden könnten – insbesondere, wenn keine vertrauensvolle Bindung besteht. In einer Zeit, in der Kinderschutz eine zentrale Rolle spielt, erscheint dieses Konzept vielen als fahrlässig.
  3. Mangel an institutioneller Kontrolle:
    Die Spielpartner sind keine professionell ausgebildeten Pädagogen. Es fehlt ein klarer rechtlicher Rahmen oder eine anerkannte Qualifikation, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten die nötigen Kompetenzen besitzen. In einigen Fällen kam es sogar zu Vorwürfen der unangemessenen Berührung.
  4. Warnungen offizieller Stellen:
    Die Evangelische Kirche in Deutschland, das Bayerische Familienministerium sowie Kinderschutzverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung (DGfPI) haben sich klar gegen Original Play ausgesprochen. Auch die Berliner Politik prüfte ein Verbot der Methode in Kitas. Die Kritik reicht von grundsätzlichen pädagogischen Zweifeln bis hin zu Warnungen vor möglichen Missbrauchsfällen.

Reaktionen und Maßnahmen

Nach ersten öffentlichen Berichten über die Methode und die damit verbundenen Risiken wurden in mehreren Bundesländern Prüfungen eingeleitet. In Berlin, Bayern und anderen Regionen untersuchten Jugendämter und Bildungsbehörden, inwiefern Original Play mit geltenden Vorschriften zum Kinderschutz vereinbar ist.

Mehrere Kitas stellten die Zusammenarbeit mit entsprechenden Trainern ein. Auch Donaldsons Organisation selbst geriet unter Druck, ihre Standards offenzulegen. In der Folge wurden einige Veranstaltungen abgesagt oder verschoben. Gleichzeitig forderten Politikerinnen wie die bayerische Familienministerin Kerstin Schreyer ein bundesweites Verbot der Methode in öffentlichen Einrichtungen.

Zwar existiert bislang kein deutschlandweites gesetzliches Verbot, doch der Druck von Seiten der Öffentlichkeit und der Politik hat dazu geführt, dass Original Play weitgehend aus staatlich geförderten Bildungseinrichtungen verschwunden ist.

Förderung von Empathie und Vertrauen oder unvereinbar mit zeitgemäßem Kinderschutz?

Original Play ist ein Konzept, das viele Fragen aufwirft. Während einige es als innovativen Ansatz zur Förderung von Empathie und Vertrauen betrachten, halten Kritiker es für gefährlich und nicht vereinbar mit zeitgemäßem Kinderschutz. Die Diskussion zeigt exemplarisch, wie sensibel der Umgang mit neuen pädagogischen Methoden sein muss – insbesondere, wenn sie außerhalb wissenschaftlicher Standards und ohne klare Regeln agieren.

Kinderschutz ist ein hohes Gut, das niemals relativiert werden darf. Innovative Konzepte sind willkommen, aber nur dann, wenn sie transparent, evidenzbasiert und sicher für alle Beteiligten sind. Im Falle von Original Play überwiegen die Risiken derzeit klar gegenüber den möglichen Vorteilen. Eine klare Haltung der Fachwelt und der Gesellschaft ist daher notwendig – zum Schutz der Kinder und zur Wahrung pädagogischer Verantwortung.

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