Camelli.de – das Frauen-Magazin Frauen über Business, Liebe, Familie, Lifestyle, Mode, Gesundheit und Sinne
adipositas kinder

Übergewicht und psychische Leiden bei Jugendlichen: Ein drängendes Gesundheitsproblem unserer Zeit

| Keine Kommentare

In den letzten Jahren ist ein besorgniserregender Trend zu beobachten: Immer mehr Jugendliche leiden unter Übergewicht und psychischen Erkrankungen – oftmals gleichzeitig. Was zunächst wie zwei voneinander unabhängige Gesundheitsprobleme erscheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen als komplexes, eng verwobenes Geflecht aus biologischen, sozialen und psychologischen Faktoren.

Übergewichtige Jugendliche haben ein deutlich erhöhtes Risiko, psychische Leiden wie Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen zu entwickeln. Gleichzeitig können psychische Belastungen das Essverhalten und Bewegungsmuster negativ beeinflussen – ein Teufelskreis entsteht.

In diesem Artikel beleuchten wir die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verbindung zwischen Übergewicht und psychischer Gesundheit bei Jugendlichen, analysieren Ursachen und Auswirkungen und zeigen Wege auf, wie Familien, Schulen und die Gesellschaft dieser Entwicklung wirksam entgegentreten können.

Aktuelle Datenlage

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Laut der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI) sind etwa 15 Prozent der Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren übergewichtig, rund 6 Prozent sogar adipös. Besonders alarmierend ist, dass viele betroffene Jugendliche ein gestörtes Körperbild entwickeln. In einer RKI-Auswertung von 2023 gaben 83 Prozent der übergewichtigen Jugendlichen an, sich selbst als „zu dick“ zu empfinden – häufig unabhängig vom tatsächlichen Körperfettanteil.

Parallel dazu steigt die Zahl psychischer Erkrankungen unter Jugendlichen. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes waren psychische Störungen im Jahr 2022 der zweithäufigste Grund für stationäre Krankenhausaufenthalte in dieser Altersgruppe. Besonders häufig sind Depressionen, Angststörungen und psychosomatische Beschwerden wie Schlafprobleme oder chronische Bauchschmerzen.

Diese parallele Zunahme beider Problembereiche lässt nicht nur einen Zusammenhang vermuten – sie macht deutlich, wie dringend ein interdisziplinäres Gesundheitsverständnis notwendig ist.

Wechselwirkungen zwischen Übergewicht und psychischer Gesundheit

Medizinische Studien zeigen zunehmend: Zwischen Übergewicht und psychischer Gesundheit besteht eine bidirektionale Beziehung. Das bedeutet, dass sich beide Phänomene gegenseitig verstärken können. So erhöht Übergewicht das Risiko für psychische Erkrankungen – etwa durch soziale Ausgrenzung, ein gestörtes Selbstbild oder hormonelle Veränderungen. Umgekehrt können psychische Erkrankungen dazu führen, dass Jugendliche weniger Sport treiben, sich ungesund ernähren oder durch emotionales Essen zunehmen.

Biologisch betrachtet gibt es ebenfalls Hinweise auf eine Verbindung: Eine zentrale Rolle spielen sogenannte proinflammatorische Zytokine – also entzündungsfördernde Botenstoffe –, die sowohl bei Depressionen als auch bei Adipositas verstärkt auftreten. Diese können die Gehirnfunktion beeinflussen und emotionale Regulationsprozesse stören. Auch hormonelle Veränderungen wie eine Dysregulation des Cortisol-Spiegels (Stresshormon) sind ein möglicher gemeinsamer Nenner.

Diese Erkenntnisse machen deutlich: Die gesundheitliche Versorgung muss psychische und körperliche Symptome integrativ behandeln – nicht separat.

Einfluss von Stigmatisierung und Mobbing

Ein gravierender psychosozialer Faktor im Zusammenhang mit Übergewicht ist Stigmatisierung. Übergewichtige Jugendliche werden in Schule und Freizeit häufig ausgegrenzt, verspottet oder gemobbt. Diese negativen Erfahrungen können tiefgreifende seelische Narben hinterlassen. Studien zeigen, dass Mobbing durch Gleichaltrige in dieser Lebensphase eine der häufigsten Ursachen für depressive Symptome ist.

Besonders problematisch ist das sogenannte internalisierte Gewichtsstigma. Viele Jugendliche übernehmen die abwertenden Botschaften aus ihrem Umfeld und richten sie gegen sich selbst. Sie schämen sich für ihren Körper, empfinden sich als „wertlos“ oder „schwach“ und ziehen sich sozial zurück. Diese negativen Denkmuster erhöhen das Risiko für Depressionen, Essstörungen und Selbstverletzungen erheblich.

Ein Teufelskreis entsteht: Aus Angst vor Ablehnung meiden die Betroffenen soziale Situationen, treiben weniger Sport und entwickeln ein gestörtes Essverhalten – was das Übergewicht verstärkt und die psychische Belastung weiter erhöht.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Ein interessanter Befund der aktuellen Forschung ist, dass sich Übergewicht und psychische Belastung bei Jugendlichen unterschiedlich auf Jungen und Mädchen auswirken.

So leiden Mädchen häufiger unter depressiven Symptomen – unabhängig davon, ob sie übergewichtig sind oder nicht. Ursache dafür könnten gesellschaftliche Schönheitsideale, hormonelle Veränderungen in der Pubertät sowie ein höheres Maß an Selbstkritik sein.

Bei übergewichtigen Jungen hingegen zeigt sich ein direkter Zusammenhang zwischen Körpergewicht und psychischer Gesundheit – vor allem, wenn sie von Mobbing betroffen sind. Diese Jungen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, depressive Symptome oder ein geringes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Auch hier wirken äußere Stigmatisierung und internalisierte Körperablehnung zusammen.

Diese Unterschiede verdeutlichen die Notwendigkeit geschlechtersensibler Präventions- und Interventionsprogramme.

Rolle von Familie und Medien

Neben Schule und Gleichaltrigen kommt auch der Familie eine Schlüsselrolle zu. Eltern fungieren als Vorbilder – sowohl im Hinblick auf Essverhalten und Bewegung als auch in Bezug auf Körperwahrnehmung. Untersuchungen zeigen, dass Kinder von Eltern mit einem entspannten, gesundheitsorientierten Umgang mit dem eigenen Körper seltener an Essstörungen oder Übergewicht leiden.

Kritische Kommentare über das Aussehen der Kinder, rigide Diätvorgaben oder die Überbetonung von Schlankheit als Erfolgsfaktor können hingegen das Selbstwertgefühl untergraben und psychische Leiden begünstigen.

Auch die Rolle der Medien ist ambivalent: Während soziale Netzwerke einerseits Informationen über gesunde Lebensweisen zugänglich machen, transportieren sie gleichzeitig unrealistische Körperideale, die Jugendliche unter Druck setzen. Der permanente Vergleich mit Influencern oder retuschierten Bildern fördert ein negatives Körperbild – besonders bei ohnehin verunsicherten Jugendlichen.

Umso wichtiger ist es, Medienkompetenz zu fördern und Jugendlichen Werkzeuge an die Hand zu geben, um digitale Inhalte kritisch zu hinterfragen.

Präventions- und Interventionsmaßnahmen

Um den Teufelskreis aus Übergewicht und psychischen Leiden zu durchbrechen, braucht es frühzeitige, integrative Maßnahmen. Die folgenden Ansätze haben sich als besonders wirksam erwiesen:

  1. Frühe Prävention: Bereits im Vorschulalter sollte durch Bewegungsförderung, gesunde Ernährung und Stärkung des Selbstwertgefühls angesetzt werden. Kindertagesstätten und Grundschulen sind hier zentrale Partner.
  2. Psychosoziale Unterstützung: Schulen sollten Schulpsychologen, Sozialpädagogen und Anti-Mobbing-Programme etablieren, um betroffene Kinder zu unterstützen und langfristige Folgen zu vermeiden.
  3. Gesundheitsförderung im Schulalltag: Bewegungsangebote, gesunde Kantinen und Unterrichtseinheiten zu Ernährung und Körperwahrnehmung können einen wichtigen Beitrag leisten.
  4. Familiäre Einbindung: Elternprogramme, die sowohl Ernährungs- als auch Erziehungsberatung beinhalten, helfen Familien, ein gesundes Umfeld zu schaffen.
  5. Gesellschaftliche Aufklärung: Kampagnen gegen Gewichtsstigma, inklusive Bildungskampagnen und Medieninitiativen, sind notwendig, um das gesellschaftliche Klima zu verändern.
  6. Therapeutische Angebote: Bei bereits bestehenden Problemen sollten psychologische oder psychotherapeutische Angebote niederschwellig zugänglich und mit somatischen Behandlungen vernetzt sein.

Ausdruck gesellschaftlichen Missverhältnisses

Übergewicht und psychische Leiden bei Jugendlichen sind keine isolierten Gesundheitsprobleme – sie sind Ausdruck eines vielschichtigen gesellschaftlichen Missverhältnisses. Körperliche Gesundheit, seelisches Wohlbefinden, soziale Integration und Bildungschancen hängen eng zusammen.

Wenn wir Jugendlichen helfen wollen, müssen wir ihnen mehr bieten als Diätpläne und Bewegungstipps. Es braucht Anerkennung, Unterstützung und ein Umfeld, das sie nicht nach dem Aussehen beurteilt, sondern ihre Potenziale sieht. Nur so können wir verhindern, dass aus einer schwierigen Lebensphase ein lebenslanges Leiden wird.

Gesundheit – körperlich wie psychisch – ist ein Menschenrecht. Gerade in einer sensiblen Entwicklungsphase wie der Jugend ist es unsere Aufgabe als Gesellschaft, dieses Recht zu schützen, zu stärken und zu ermöglichen.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.