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Sorgearbeit Belastung

Sorgearbeit in Deutschland: Belastung, Ungleichheit und das Müttergenesungswerk

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Sorgearbeit – oder auch Care-Arbeit genannt – bezeichnet alle Formen von unbezahlter Arbeit, die in Haushalten und im sozialen Umfeld geleistet wird, um das Wohlergehen anderer Menschen sicherzustellen. Dazu gehören Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen, Hausarbeit oder emotionale Unterstützung.

Diese Arbeit ist essenziell für das Funktionieren unserer Gesellschaft, wird jedoch häufig nicht als solche anerkannt. Gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie sehr unsere Gesellschaft auf diese Arbeit angewiesen ist – und wie unsichtbar und ungleich verteilt sie bleibt.

Die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit

In Deutschland leisten Frauen deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Laut der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamts verbringen Frauen täglich im Durchschnitt 4 Stunden und 13 Minuten mit unbezahlter Arbeit, Männer hingegen nur 2 Stunden und 46 Minuten. Das hat weitreichende Folgen für die Erwerbsbiografien und die wirtschaftliche Absicherung von Frauen. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit oder unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit – mit späteren Konsequenzen für die Rente.

Diese Ungleichverteilung zeigt sich besonders deutlich bei Müttern: Nach der Geburt eines Kindes übernehmen sie überproportional den Großteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit. Väter hingegen kehren in der Regel schneller in den Beruf zurück. Diese Rollenmuster haben sich trotz gesetzlicher Möglichkeiten wie dem ElterngeldPlus nur langsam verändert. Auch pflegende Angehörige sind in über 70 Prozent der Fälle weiblich. Viele von ihnen sind Teil der sogenannten Sandwich-Generation, die gleichzeitig Kinder betreut und ältere Familienmitglieder pflegt.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Diese dauerhafte Mehrfachbelastung wirkt sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit aus. Mütter und pflegende Angehörige berichten häufig über Erschöpfung, Schlafstörungen, Depressionen oder psychosomatische Beschwerden. Ohne angemessene Erholungsphasen und professionelle Unterstützung kann sich dieser Zustand chronifizieren. Gleichzeitig fühlen sich viele Betroffene mit ihren Problemen alleingelassen, weil ihre Arbeit gesellschaftlich kaum anerkannt oder gar entlohnt wird. Der Druck, familiäre Erwartungen zu erfüllen und gleichzeitig beruflich zu funktionieren, ist hoch.

Das Müttergenesungswerk (MGW)

Das Müttergenesungswerk (MGW) wurde 1950 von Elly Heuss-Knapp gegründet, um Müttern nach den Belastungen des Krieges Erholungs- und Gesundheitsmaßnahmen zu ermöglichen. Heute setzt sich das MGW dafür ein, dass Mütter, aber auch Väter und pflegende Angehörige, gezielte und medizinisch begründete Kuren erhalten, um ihre Gesundheit wiederherzustellen und zu stabilisieren. Es handelt sich dabei nicht um klassische Erholungsurlaube, sondern um strukturierte medizinisch-therapeutische Maßnahmen, die auf die besonderen Bedarfe der Zielgruppen zugeschnitten sind.

Eine Besonderheit des MGW ist der ganzheitliche und gendersensible Ansatz: Die Therapiepläne berücksichtigen die spezifischen Belastungen, die durch Care-Arbeit entstehen, und zielen darauf ab, die Selbstfürsorge zu stärken. Neben medizinischen und psychotherapeutischen Elementen gibt es auch sozialtherapeutische Angebote, die helfen, eigene Grenzen zu erkennen, Netzwerke aufzubauen und langfristige Strategien für den Alltag zu entwickeln.

Kurmaßnahmen im Detail

Eine Kurmaßnahme im Rahmen des MGW dauert in der Regel drei Wochen. In dieser Zeit erhalten die Teilnehmer:innen ein individuelles Therapieprogramm, das je nach Bedarf Bewegungstherapie, psychologische Einzel- und Gruppengespräche, Ernährungsberatung und Entspannungsverfahren umfasst. Mütter und Väter können ihre Kinder mitbringen; für diese gibt es parallel dazu ein eigenes Betreuungs- und Therapieangebot.

Pflegende Angehörige, die oftmals unter hoher emotionaler und körperlicher Belastung stehen, profitieren besonders von diesen Maßnahmen. Viele von ihnen erkennen erst im Rahmen der Kur, wie sehr sie selbst gesundheitlich betroffen sind. Die therapeutische Arbeit hilft, Schuldgefühle abzubauen, realistische Erwartungen zu formulieren und Perspektiven zu entwickeln.

Kurmaßnahmen müssen bei der Krankenkasse beantragt werden. Voraussetzung ist eine ärztliche Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit. Die Bewilligung erfolgt in der Regel für eine stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, es fällt lediglich ein geringer Eigenanteil an. Beratungsstellen des MGW unterstützen Betroffene beim Antragsverfahren und bei der Auswahl der passenden Klinik.

Politische Forderungen und gesellschaftlicher Diskurs

Trotz der wertvollen Arbeit des MGW und der gesetzlichen Möglichkeiten bleibt die strukturelle Benachteiligung von Menschen in der Sorgearbeit bestehen. Sozialverbände, Frauenorganisationen und das MGW selbst fordern deshalb eine stärkere politische Anerkennung dieser Arbeit. Dazu gehören unter anderem:

  • Lohnersatzleistungen für Pflegezeiten,
  • eine finanzielle Aufwertung von Teilzeitmodellen,
  • die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege durch flexible Arbeitszeitmodelle,
  • sowie langfristig die Einführung eines sogenannten Care-Gehalts.

Auch in der öffentlichen Debatte gewinnt das Thema an Aufmerksamkeit. So betont etwa der Artikel im RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vom 7. Mai 2024 unter dem Titel „Kinder großzuziehen ist kein reines Privatvergnügen“, dass Sorgearbeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anerkannt werden muss. Die Autorin weist darauf hin, dass Mütter und Väter durch die gegenwärtige Arbeitsmarktpolitik strukturell benachteiligt werden und dass Kinderbetreuung und Pflege endlich als wirtschaftliche Leistung verstanden werden sollten.

Ausblick

Sorgearbeit bildet das Fundament unserer Gesellschaft. Ohne sie wäre weder die Erziehung kommender Generationen noch die Versorgung von Pflegebedürftigen möglich. Dennoch bleibt sie ungleich verteilt, unbezahlt und oftmals unsichtbar. Mütter, Väter und pflegende Angehörige brauchen mehr als nur moralische Anerkennung: Sie brauchen konkrete politische, finanzielle und gesundheitliche Unterstützung.

Das Müttergenesungswerk leistet hier einen unverzichtbaren Beitrag, indem es gezielte Kurmaßnahmen anbietet, die auf die spezifischen Bedarfe dieser Personengruppen eingehen. Gleichzeitig zeigt die Arbeit des MGW, wie wichtig es ist, Care-Arbeit nicht nur individuell, sondern auch strukturell zu denken. Es braucht eine Gesellschaft, die Sorgearbeit nicht als Privatangelegenheit, sondern als gemeinschaftliche Verantwortung begreift und entsprechend handelt.

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